Auferstanden aus Ruinen
Viele Möglichkeiten, etwas den Berg hinunterkullern zu lassen, gibt es nicht in Berlin. Und wo sonst, wenn nicht am 68 Meter hohen Kreuzberg, der höchsten Erhebung inmitten des Berliner Urstromtals, könnte ein Seifenkistenrennen stattfinden. Ende der vierziger Jahre ließen die Berliner, begleitet von einer amerikanischen Army-Band, ihre soliden Sperrholzboliden den Mehringdamm hinunterrollen und, in Ermangelung der Bremsen, in einen gigantischen Strohberg tauchen. Monatelang hatten sie in den Höfen und Garagen nach dem Vorbild der amerikanischen Seifenkisten ihre Karossen zusammengenagelt, Räder von ausgedienten Kinderwagen anmontiert, am Schluß einen teuren Topf Ölfarbe gekauft und dem Wunderwerk einen glanzvollen Anstrich verliehen. Am Start standen ausnahmslos Unikate.
Als am 29. Juni das 49. Berliner Seifenkisten-Derby gestartet wurde, glichen die Seifenkisten nahezu einander wie der BMW dem Audi. Ihre Konstrukteure sind keine kleinen Jungs mehr, sondern gestandene Männer, die meist selbst einmal am Steuer einer Sperrholzkiste saßen und nun Kinder und Enkelkinder an den Kreuzberg schicken, um vielleicht doch noch einmal Deutscher Meister zu werden - wenn auch nur als Konstrukteur eines Seifenkistenrennstalls. In Reih und Glied stehen im abgegrenzten Fahrerlager Produkte stromlinienförmiger Kunstfasergüsse, in denen die Fahrer nicht mehr sitzen, sondern liegen, und auf denen der Name des Sponsors ebensowenig fehlen darf wie auf dem Nürburgring. Die Zeit des Tüftelns in den Hinterhöfen und der Siege genialer Eigenbrötler ist abgelaufen (Textauszüge aus der KREUZBERGER CHRONIK adaptiert).